Der Staub zieht überall hin
Sie steht direkt vor mir.
Ich spreche Deutsch.
Sie spricht Deutsch.
Wir verstehen uns nicht.
Sie versteht nicht, was ich sage.
Zumindest lassen Ihre Antworten das vermuten.
„Der feine Staub zieht überall hin!“
Ja, das hat sie jetzt schon ein paar Mal gesagt.
„Das mag ja sein. Aber er zieht nur deshalb überall hin, weil Sie keine Wand haben! Jedenfalls keine eigene. Denn diese hier, das versuche ich Ihnen ja gerade zu zeigen, diese Wand gehört mir.“
Ich zeige ihr das Loch in der Wand, zeige ihr den Gipskarton – von hinten.
Von vorn zeige ich ihn ihr auch – da stehen wir aber in ihrem Haus.
„Das ist auch ganz kalt hier, seit Sie da drüben arbeiten.“
„Ja, das kann sein, weil Sie jetzt nur noch eine Gipskartonplatte als Außenwand haben, seit ich meine Wand repariere.“
Sie hört mich, da bin ich mir sicher.
Sie versteht nicht, was ich sage.
Da bin ich mir allerdings nicht sicher.
Denn wenn Sie verstehen, was ich hier schreibe, warum soll diese Frau nicht verstehen, was ich ihr zeige?
Mir wird klar: Sie fährt die „IchbindochnureinedummeFrauNummer“ und ich bin der „böseböseneueNachbar“.
Ich habe es geahnt.
So komme ich nicht weiter.
Ich weiß, daß ein böser Nachbar jedes Haus zum Alptraum machen kann.
Also kämpfe ich weiter, obwohl ich auf sichtlich verlorenem Posten stehe.
Würde meine Nachbarin Suaheli sprechen, die Verständigung zwischen uns würde sich nur unwesentlich verschlechtern.
„Ich verstehe nichts davon.“
Auch das hat sie jetzt schon ein paar Mal gesagt.
„Der Staub zieht überall hin.“
„Ja, weil Sie Ihre Wand…“,aber das hatten wir ja auch schon.
„Ein Vorschlag zur Güte:
Ich entferne Ihre Gipskartonwand auf meine Kosten, saniere meine Fachwerkwand und erstelle auf Ihrer Seite auf meine Kosten eine neue, statisch eigenständige Wand.
Sie haben wieder eine eigene Wand, ich kann sanieren.
Na, was denken Sie?“
„Ja, das müßte aber am Wochenende passieren, in der Woche habe ich hier Kunden. Da kann ich so was nicht gebrauchen. Außerdem, wer bezahlt mir denn den ganzen Verdienstausfall?
Die ersten Kundinnen klagen schon über die Kälte in meinem Haus.“
Ich verstumme.
Ich schweige.
Ich koche.
Da biete ich an, den Fehler anderer Menschen auf eigene Kosten zu revidieren, will Handwerker dafür bezahlen, meinen Nachbarn eine Wand zu bauen.
Und was bekomme ich zur Antwort?
„Dann müssen ja auch die Hausanschlüsse verlegt werden. Der Gas- und der Stromanschluß zu unserem Haus verlaufen genau hier!“
Sie zeigt auf die Stelle.
„Das zumindest weiß sie“, denke ich.
Ja, genau da wäre die Wand des Nachbarhauses.
Jetzt ist hier ein dickes Gasrohr.
Ist nun auch schon egal.
„O.K., dann beauftrage ich die Stadtwerke mit der Verlegung ihrer Anschlüsse“, höre ich mich sagen.
„Hier hilft kein Jammern“, denke ich. „Handeln“.
Das denkt meine Nachbarin wohl auch.
„Das wird aber teuer. Also das bezahle ich nicht!“
„Das sollen Sie ja auch nicht. Sie sollen nur sagen, daß Sie mit dieser Lösung einverstanden sind. Die Wand wird von meinem Zimmermann gesetzt, ein Mitarbeiter ist gelernter Maler, das wird hinterher schöner, als es jetzt ist.
Und Kosten entstehen Ihnen nicht.“
„Obwohl es ja Ihre Wand ist, die hier fehlt“, schiebe ich nach und veranschlage schon mal Kosten von um die 5000 Euro.
Sie hat wieder auf Suaheli umgeschaltet und sagt:
„Der feine Staub zieht überall hin.“