Ich bin Ihr Polizist
Der zimmernde Nachbar war vor etwa einer Stunde wieder gegangen und ich habe inzwischen Hunger.
Also ab zur Dönerbude, die in Wernigerode keine Bude ist, sondern ein wirklich ansprechender Imbiss.
Vor allem: die Döner sind richtig gut.
Zufrieden mit dem gerade Gegessenen und sinnend, was mir heute schon alles passiert ist, komme ich wieder am Haus an.
Und noch während ich mein Auto abstelle, macht mein peripheres Sehen eine Bewegung in der Nähe des Hauseinganges aus.
Tatsächlich stehen da zwei Menschen.
Stehen eigentlich nicht, sondern ziehen sich, als sie mich entdecken, vor den Torweg des Nachbarn zur Rechten vom kleinsten Haus zurück.
Das wäre diese Erwähnung nicht wert, würde sich der eine der beiden nicht sichtlich eilig verabschieden und in dem Torweg verschwinden.
Der Zurückbleibende trägt Uniform und schaut mir erwartungsvoll entgegen.
Hmmm. Der Döner liegt mir plötzlich schwer im Magen.
„Guten Tag. Ich bin hier der zuständige Polizist (ich denke, er sagte das etwas anders, nur habe ich das vergessen), das, was Früher einmal der Abschnittsbevollmächtigte war.“
Woher weiß der, daß ich ein Ossi bin? Und wieso stelle ich mir jetzt und hier diese Frage?
„Na ja, und ich wollte mich mal vorstellen.“
Das klingt jetzt irgendwie falsch. Und er merkt das wohl auch selbst. Also legt er nach:
„Ich habe hier Ihren Hänger auf der Straße stehen sehen und da wollte ich mal gucken, was Sie hier so machen.“
Wenn jeder abgestellte Hänger einen Polizeieinsatz auslösen würde, denke ich. Und sage ihm das auch.
„Na ja, so ganz Unrecht haben Sie da nicht. Ich bin nicht wirklich zufällig hier, sondern weil man mich angerufen hat.“
Ich frage ihn nicht, wer ihn angerufen hat, der Nachbar hat uns noch ein paar Augenblicke beobachtet und das Torweg inzwischen geschlossen.
„Das ist aber schön, daß Sie sich hierher bemühen. Und was machen wir jetzt? Nehmen sie mich fest, weil ich hier einen Hänger abgestellt habe?“
Er lacht, macht eigentlich einen netten Eindruck. Er ist ja auch nicht freiwillig hier, denke ich. Warum sollte ich also unfreundlich sein?
Und mir kommt eine Liedzeile eines Sängers aus DDR- Zeiten in den Sinn, Kraftschick oder so ähnlich hieß der:
„Frag doch mal `nen Polizist, was ein Polizeistaat ist,
und zur Antwort kriegst du dann, alle scheißen alle an.“
Und dieses schöne Gedicht sage ich jetzt meinem ganz persönlichen Polizisten auf.
Der freut sich.
Na bitte.
„Na ja, wissen Sie, diese Ecke hier, die ist nicht ganz einfach. Hier werde ich öfter mal angerufen. Weiß auch nicht, was die Leute so haben. Die waren nicht immer so. Sind erst nach der Wende so geworden.“
Er ist mein Abschnittsbevollmächtigter. Und er wäre es wohl auch immer schon gewesen, so abfällig er das Wort Wende ausspricht.
Ich lächele.
„Ach wissen Sie, ich lebe jetzt seit 20 Jahren im Westen. Und mich hat noch nie jemand angezeigt.“
Er stutzt, gibt zu verstehen, daß er ja nicht wegen einer Anzeige hier sei und liefert mir so die Steilvorlage für meine nächste Frage.
„Ach, dann kommen Sie auch so zu rein privaten Besuchen?
Dann hat mein Nachbar sich praktisch nur ein bißchen einsam gefühlt und Sie sind gleich gekommen?
Das ist aber Service!
Da weiß ich doch gleich, wofür ich meine Steuern zahle!“
Er hat keinen Spaß mehr an diesem Gespräch, das sehe ich ihm an.
Ich schon.
Nur nimmt an diesem Tage scheinbar niemand Rücksicht auf mich und auch ihn interessiert es plötzlich nicht mehr, was ich zu sagen habe.
Mit einem letzten Hinweis darauf, meinen Hänger doch bitte immer dort abzustellen, wo er jetzt schon die ganze Zeit steht, verabschiedet er sich und geht.
Obwohl ich jetzt wieder ganz allein vor meinem Haus stehe, fühle ich mich dennoch nicht einsam.
Ich weiß jetzt, daß ich nicht allein bin.
In der Kochstraße.