Ich kenne diese Frau

Der Staub ist unglaublich.
Die Frau von Nebenan hat recht.
Der Staub zieht durch jede Ritze. Er zieht auch in jede Körperöffnung.
Die Staubmasken, die wir seit zwei Stunden tragen, helfen auch nicht.
Mir wird schwarz vor Augen.
Daß ich noch vier Wochen lang kaum werde atmen können, daß ich in den nächsten zwei Monaten kaum schlafen werde, wegen des Hustens, das weiß ich jetzt noch nicht.
Was ich weiß, ich muß an die frische Luft.
Also lasse ich mein Werkzeug einfach fallen und stolpere vor die Tür.
Wegen der Beschwerden aus der Nachbarschaft arbeiten wir jetzt schon seit 5 Stunden bei geschlossenen Fenstern und Türen.
Wissen diese Leute eigentlich, was sie hier von uns verlangen?
Sie wissen es nicht, hoffe ich.
Sonst müßte ich Böses tun.
Und noch während ich röchelnd und hustend den Feierabend herbei sehne, fällt mein Blick auf eine attraktive Frau, die sich für das Haus interessiert und mit einem durchaus freundlichen Gesamteindruck betrachtet.
Ich sehe bestimmt Scheiße aus, denke ich.
Selbst wenn ich aussehe wie eine Golem-Ausgabe für Arme, ist mir eine gute Wirkung auf Frauen noch wichtig.
Kramer, du spinnst, denke ich und kann das Husten nicht länger zurück halten.
Sie lächelt, grüßt kurz und ist im Begriff, zu gehen.
Da knallt es in meinem Kopf.
Die Frau kenne ich! Woher kenne ich die nur?
Wie ein Mini-Domino knallen die Synapsen in meinem Kopf. Hübsche Frau, Interesse am Haus…wie gehört das zusammen?
Mensch, klar, das ist doch die Frau, die beim Gespräch in der Denkmalschutzbehörde anwesend war.
Arbeitet irgendwie bei der Stadt.
Die ist also nicht zufällig hier.
Hallo, na, was treibt Sie zu uns? bringe ich eine Wahnsinns Konversation in Gang, denn natürlich habe ich ihren Namen vergessen.
„Ach“, sagt sie, „ich wollte nur mal sehen, was Sie hier so machen. Da legen Sie aber ganz schön los! Haben Sie das denn mit Herrn W. vom Denkmalschutz besprochen?“
Wieso, frage ich zurück.
Er hat doch gesagt, ihn würde nicht interessieren, was ich im Haus mache? Sie waren doch dabei.
Sie guckt nicht sehr überzeugt.
Das verstehe ich nicht.
Sie ist nett, sie ist kompetent ( sämtliche Einlassungen ihrerseits lassen Kenntnisse vom Bau erkennen, die Frau ist vom Fach), weshalb kann sie sich nicht an die eindeutigen und unmissverständlichen Aussagen der beiden Denkmalheinis erinnern?
Sie wissen doch, helfe ich ihr auf die Sprünge: „Wenn Sie ein Kastenfenster einbauen, dann kann ich Ihnen nur den Einbau des äußeren Flügels bestätigen. Der Innere geht mich nichts an. Ist eben kein Einzeldenkmal.“
Und spätestens jetzt müßte ihre Erinnerung zurückkehren: „Aber da kann ich vielleicht auch mal eine Ausnahme machen!“
Sie reagiert nicht wie gewünscht.
Ich werde das Gefühl nicht los, daß sie etwas weiß, was ich nicht weiß. Sie sieht Ärger aufziehen.
Aber warum, frage ich sie.
Die Front des Hauses habe ich noch nicht angefaßt, was wir derzeit rausreißen sind Bauteile, die keine 20 Jahre alt sind und mit Denkmal nichts zu tun haben.
Wo ist das Problem?
„Die Decken dürfen Sie nicht rausreißen“, sagt sie.
Weshalb nicht?
„Weil das historische Decken sind.“
Ich korrigiere sie ungern, was aber sein muß:
Nur höchstens 10 Prozent der Decken sind noch original erhalten. Die werden wir, so das möglich ist, sogar erhalten wollen.
Allerdings habe ich diesbezüglich wenig Hoffnung, denn die Deckenbalken sehen nicht mehr sehr stabil aus und müssen zumindest an ihren Enden ausgetauscht bzw. repariert werden.
Das geht aber nicht, solange die mit Lehm umwickelten Deckenhölzer an ihrem Platz liegen.
Und sie liegen nur noch an den Enden der Balken an ihrem Platz. Alles andere wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte bereits durch Spanplatten und Bretter ersetzt.
Vor allem aber, und ich möchte wieder zurück an die Arbeit:
Der Denkmalschutz interessiert sich doch gar nicht für das Innere meines Hauses, jedenfalls nicht mehr, als ich selber!
Ich muß das loswerden.
Denn weshalb denkt sie eigentlich, ich selber hätte kein Interesse am Erhalt der historischer Bausubstanz?
Meint sie, mir macht es Spaß, an immer mehr Orten in meinem Haus hoffnungslose Zustände vorzufinden?
Sie bleibt freundlich, sie bleibt unverbindlich.
Und sie bleibt skeptisch.
So wie „Ja,ja Meister“ bekanntlich „Leck-mich-am-Arsch“ heißt, so klingt ihr „Ja,ja“ zum Abschied gefährlich nach „Das werden wir ja sehen!“
Und so habe ich neben einem Kilo Lehm auch noch ein großes Fragezeichen in meinem Kopf, als ich mir einen Weg durch die Luft zurück hinein ins Haus schneide.

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